Pandemie wie ein Brennglas
Wie kommt man gestärkt aus der Krise? Kreissportbund-Bautzen-Gastreferentin und Sportpsychologin Dr. Marie Hengst im Gespräch über Auswirkungen der Corona-Pandemie in Sportvereinen und wie man neue Motivation nach dem Neustart schöpft.
Nach Monaten des sportlichen Stillstands gedeiht nun langsam wieder ein zartes Pflänzchen des Aufschwungs.
Wie gelingt es, sich mental auf den Neustart vorzubereiten, gerade wo jetzt nun wieder die Sommerferien starten?
Es ist wunderbar mit anzusehen, wie die Funken in den Augen der Sportlerinnen und Sportler wieder aufleuchten. Es sind Zeichen der Hoffnung und Zuversicht, dass nun nach (sportlichem) Stillstand der organisierte Sportbetrieb aufgenommen wird. In der Psyche des Menschen macht es einen gewaltigen Unterschied aus, ob man auf ein Ziel hinarbeiten kann oder eben nicht. Durch die Wechselwirkung zwischen dem Motiv einer Person und einer Situation entsteht Motivation. Entzieht man die Situationen, das heißt die leistungssportlichen Anreize, wird das Leistungsmotiv nicht angeregt und die erwünschte Motivation bleibt aus. Es ist also nicht verwunderlich, dass es Kindern und Jugendlichen zunehmend schwerfiel, motiviert ihren Sport weiter zu betreiben, wenn die Anreize dazu - durch die Pandemie – ausgeblieben sind. Mit der nahenden Aufhebung des Lockdowns ist das Ende der Krise absehbar und das schafft Motivation. Eine gewisse Planbarkeit kehrt zurück, das Gefühl der Kontrolle des Alltags macht sich breit und damit werden Ziele wieder ins Auge gefasst. Auch wenn die Sommer-ferien vor der Tür stehen und den gesamten Prozess des Aufschwungs verlangsamen, werden die Ziele der Sportlerinnen und Sportler reaktiviert. Keiner geht unverändert aus dieser Pandemie und so wird es die Aufgabe einer jeden Trainerin und jeden Trainers, wie auch Sportlerinnen und Sportlern sein, seine Ziele für die Zukunft neu auszuloten, um diese motiviert und voller Tatendrang zu verfolgen.
Was bleibt aber aus psychologischer Sicht Ihrer Meinung nach bei Kindern und Jugendlichen hängen?
Es war für Jede und Jeden eine neue Situation. Für die Einen mehr für die Anderen weniger herausfordernd. Auch in meiner Arbeit als Sportpsychologin habe ich Veränderungen bei den Kindern und Jugendlichen wahrgenommen. Diese Veränderungen sind sowohl positiv wie auch negativ. Manche Sportlerinnen und Sportler erlebten in Zeiten der Pandemie durch die freie Zeiteinteilung ein intensiveres Gefühl des selbstwirksam Seins und gehen eher gestärkt aus dieser Zeit. Bei anderen wirkte die Pandemie wie ein Brennglas, es ließen sich Probleme erkennen, die schon länger bestehen und nun verdeutlicht ins Bewusstsein hervortraten oder sogar einen Brand, im Sinne einer psychischen Erkrankung auslösten.
Wie unterschiedlich hingegen reagieren Erwachsene?
„Eine Krise ist wie Luft anhalten.” Diesen Vergleich finde ich sehr passend, wenn es um das Durchhaltevermögen geht. Eine Weile kann man schwierige Situationen durchhalten, aber irgendwann muss man wieder atmen. Erwachsene begreifen die Situation der Pandemie umfänglicher und bewerten diese aufgrund der Informationen anders. Aber auch hier ist es so, dass man nur begrenzt durchhalten kann, wenn das Ende der Krise nicht abzusehen ist! Daher gilt es für sich selbst, Wege zu finden den sportlichen Anspruch aufrechtzuerhalten. Zur Unterstützung dient hier das Erleben von Autonomie. Das heißt selbst die Kontrolle über die Dinge (Sport treiben) bewusst zu übernehmen, die man beeinflussen kann, stärkt dieses Gefühl.
Welche Motivationstipps geben Sie denjenigen, die nach wie vor Probleme haben, ihren Sport im Verein nachzukommen?
Es gibt einige Faktoren, warum irgendwann die Motivation nachlässt z. B. fehlende Ziele, fehlende Trainingspartner, fehlende Zeit. Die Liste könnte durch viele Beispiele ergänzt werden. Wenn man bemerkt, dass der Antrieb oder die Lust zum Training fehlen oder weniger werden, sollte man nach dem Ursprung suchen. Was treibt mich an? Wo möchte ich hin? Was ist das Ziel? Ist das für einen individuell geklärt, sollte die Planung für die Umsetzung sehr konkret formuliert werden (Wann, Wo, Wie tue ich etwas?). In dieser volitionalen Phase besteht die größte Gefahr an der Umsetzung zu scheitern oder diese nicht intensiv genug zu vollziehen. Daher ist es wichtig, diesen Schritt sehr fokussiert zu durchdenken.
Was sollte ein Sportverein, vorrangig ehrenamtlich geführt, beachten, um eine mögliche erneute größere Einschränkung besser meistern zu können?
Meiner Meinung nach sind Proaktivität und Flexibilität zwei gute Ratgeber. Sich gedanklich von manifestierten Wegen zu lösen und flexibel zu reagieren, schafft mehr Handlungsspielraum. Proaktiv zu agieren und vorrausschauend zu denken, kann eine gewisse Planbarkeit im Falle wiederkehrender Einschränkungen unterstützen.
Sie beraten als Sportpsychologin auch Sportvereine. Ist es künftig wichtig, dass Vorstände und Übungsleiter künftig ein größeres Augenmerk auf psychologische Aspekte in ihrer Vereinsarbeit legen, z. B. durch Schulungsangebote?
Ich berate nicht per se Sportvereine, sondern bilde Trainerinnen und Trainer in sportpsychologischen Themen aus und fort. Ich beobachte seit einigen Jahren mit viel Freude, dass die Resonanz zum Fachgebiet der Sportpsychologie sehr groß ist und das Interesse stetig zunimmt. Nicht nur in Bezug auf den allgemeinen Gesundheitszustand spielt die psychische Gesundheit innerhalb unserer Gesellschaft eine immer größer werdende Rolle, sondern vor allem auch im Sport sind psychologische Inhalte nicht mehr wegzudenken.
Großes Bild: Toni Söll/Freie Presse
Grafik: Der SportKurier